10.04.2021
Hotelchefin: "Mir wurde die Perspektive gestohlen"

Berchtesgadener Anzeiger - Kilian Pfeiffer

Die Krisenstimmung im Foyer des Hotel »Edelweiss« in Berchtesgaden ist deutlich spürbar. Hotelbetreiberin Martina Hettegger hat vor eineinhalb Jahren den Großumbau ihres Hotels beschlossen. Damals war von Corona noch keine Rede. Mittlerweile ist die Stimmung am Boden, die Einnahmen gleich null, der Umbau muss trotzdem finanziert werden. Auf Einladung von Andrea Wittmann, nominierte Bundestagsabgeordnete der Freien Wähler, haben sich die beiden Kreisvorsitzenden des Hotel- und Gaststättenverbandes im Berchtesgadener Land und in Traunstein, Johannes Hofmann und Klaus Lebek, getroffen, um über die Zukunft der Gaststätten und der Hotellerie in Corona-Zeiten zu diskutieren. Denn alle wissen: »So kann es nicht weitergehen.«


Hans Friedl, Landtagsabgeordneter der Freien Wähler, schätzt die Aufenthalte im Berchtesgadener Land. Das kommt nicht von ungefähr. Sein Bruder wohnt in Bad Reichenhall, »die Region ist besonders schön«, sagt der Politiker, der Andrea Wittmann in ihrem Bestreben unterstützt, nach den Wahlen in den Bundestag einzuziehen zu können. Dass das ein weiter und steiniger Weg ist, weiß Wittmann am besten: Bislang haben die Freien Wähler auf Bundesebene keinen Platz und keine Möglichkeit der Mitsprache.

Dass im Hotel »Edelweiss« sich nun hochrangige Vertreter des Hotel- und Gaststättenverbands an einem Tisch mit Politikern vereinen, flankiert vom stellvertretenden Landrat Michael Koller, kommt nicht von ungefähr: »Es ist die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg«, sagt Johannes Hofmann. Das Gastgewerbe wurde von Corona mit voller Wucht getroffen. Davon kann Martina Hettegger, die Hotelbetreiberin, am besten selbst erzählen. Denn die Krise bedroht nicht nur ihr Hotel, eines der größten im Landkreis, sondern auch Einzelhändler und viele weitere Branchen.

»Wir sinken gemeinsam«, scherzt Johannes Hofmann, obwohl ihm gar nicht zu scherzen zumute ist. »Mir wurde die Perspektive gestohlen«, sagt die Hotelchefin, die sich während der Krise bislang kaum zu Wort gemeldet hatte. Hunderttausende Euro steckt sie derzeit in das Vier-Sterne-Superior-Haus, tauscht alle Böden des elf Jahre alten Hotels aus, ersetzt die Leuchtmittel durch energiesparende LED-Technik. Tausende Strahler sind das im Gesamten. Zwei Kredite hat sie dafür eigens aufgenommen. Die Schulden drücken von oben, doch die Einnahmen von unten bleiben aus, sagt sie. »Das alles wirft uns mindestens fünf Jahre zurück«, sagt sie. Verzweiflung schwingt in ihrer Stimme mit. Wäre die Krise absehbar gewesen, hätte sie auf die von langer Hand geplante Investition wohl verzichtet, wie sie sagt. »Wir hatten einen Finanzplan aufgestellt, wie wir das alles wieder zurückzahlen.« Doch was tun ohne Öffnungsperspektiven?

Genau diese fordert Andrea Wittmann, denn die Konzepte lägen vor, sagt sie. Öffnungsperspektiven fordern auch Kreisrat Daniel Längt und dessen Parteikollege, der Landtagsabgeordnete Hans Friedl. Er sieht es ähnlich wie der stellvertretende Landrat: Die Mehrwertsteuer müsse für Hotels und Gastgewerbe dauerhaft gesenkt werden, sagt etwa Michael Koller. Und weiter: Die Erbschaftssteuer müsse angepackt, Nachfolgeregelungen bei Betriebsübergaben vereinfacht werden.

Unter den Unternehmern der beiden Nachbarlandkreisen herrsche Krisenstimmung, wissen die beiden DeHoGa-Vorsitzenden. MdL Hans Friedl scheut keine Kritik an Ministerpräsident Markus Söder (»Er hängt am Rockzipfel der Kanzlerin«), mit dessen Partei er in Bayern koaliert. Zusammenarbeit sei nun das Wichtigste sagt er, dennoch müsse man wegkommen »von dem blöden Inzidenzwert, auf den wir starren wie das Karnickel auf die Schlange«. Als wäre Corona nicht schon genug, befindet sich zudem das Vertrauen der Bürger in die Politik im freien Fall.

»Ich kann die Menschen gut verstehen«, sagt Politiker Hans Friedl – nach all den Masken-Affären, Impf-Desastern und Einschränkungen seien die Bürger frustriert. »Alle unsere Hygienekonzepte würden sofort greifen«, sagt Johannes Hofmann. Seiner Ansicht nach müssten Hotels die ersten sein, die wieder öffnen dürften. Angesichts der erneuten Verlängerung des Lockdowns nimmt in weiten Teilen des Gastgewerbes aber die Verzweiflung überhand. Das weiß auch der Traunsteiner-DeHoGa-Vertreter Klau Lebek: Er ist sauer. »Es stinkt der Fisch vom Kopf weg«, sagt er, fordert zügiges Handeln. Der Regierung wirft er »komplettes Versagen« vor, ein fehlendes Konzept, ausbleibende Impfzusagen, »es passiert einfach nichts«.

Derweil müsse es Planungssicherheit geben – für Firmen, Gäste und Bürger. So ähnlich sieht das auch Andrea Wittmann, die dreifache Mutter, die in den Bundestag einziehen möchte. »Ohne Perspektive wandern die Mitarbeiter ab«, sagt sie. Und trifft dabei den Nerv von Hotelchefin Martina Hettegger. Sie hat alle Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Die Kosten, die anfallen, kann sie sich eigentlich im Moment nicht leisten – »aber was ist, wenn wir irgendwann wieder öffnen dürfen?« Mitarbeiter sind im Gastgewerbe schwer zu kriegen, vor allem gut eingearbeitete: »Wir müssen sie um alles in der Welt behalten«, sagt Hettegger. Ihr Hoteldirektor sitzt ihr gegenüber, nickt, nebenan packen Handwerker Dutzende Kartons aus. Es ist das neue, teure Mobiliar des Hotels. »Die Konkurrenz schläft nicht«, sagt die Hotelchefin, die eine Wiedereröffnung kaum erwarten kann. Der Tourismus benötige aber entsprechenden Vorlauf. »Es ist unmöglich, ein Haus wie dieses einfach von jetzt auf gleich wieder hochzufahren«, sagt Hoteldirektor Christoph Schimpl. Landrat-Stellvertreter Koller würde es begrüßen, im Berchtesgadener Land ein mit dem Tübinger Modell vergleichbares Pilotprojekt zu sehen – »zumal wir durch unsere Grenzregion Gefahr laufen, dass Mitarbeiter aus Deutschland nach Österreich abwandern«.

Sowohl Traunstein als auch das Berchtesgadener Land haben sich für einen Platz unter den raren Corona-Modellregionen mit Öffnungsperspektive beworben. Das sei der richtige Weg, sagen die Anwesenden. Fürs Erste könnte es der einzige bleiben.